Fachkräftemangel macht erfinderisch

In Zeiten des Fachkräftemangels ist es nachvollziehbar, dass man alle Möglichkeiten der Anwerbung kompetenter Mitarbeiter nutzt. Gerade im Bauhandwerk, in dem man auf der Baustelle mit Kolleginnen und Kollegen anderer Unternehmen zusammentrifft, stellt sich schnell raus, bei wem die Chemie stimmt und mit wem man sich eine weitere Zusammenarbeit wünscht. Nichts ist leichter, als mit einem Telefonanruf bei der Wunschkandidatin oder dem Wunschkandidaten dessen Bereitschaft zu einem Wechsel des Arbeitgebers abzutasten.

Der konkrete Fall:

Der Personalberater eines Unternehmens rief bei einem Mitarbeiter eines Unternehmens derselben Branche an und bot ihm einen neuen Arbeitsplatz an. Er nutzte dazu die Rufnummer des privaten Mobiltelefons des angerufenen Mitarbeiters. Nach dem ersten Anruf, bei dem der angerufene Mitarbeiter keine Entscheidung über einen Wechsel des Arbeitgebers treffen wollte, meldete sich der Personalberater noch weitere sechs Male über dieselbe Rufnummer und setzte sein Werben um den Mitarbeiter fort. Bei allen sieben Anrufen befand sich der umworbene Mitarbeiter an seinem Arbeitsplatz.

Der rechtliche Hintergrund:

Das Abwerben von Mitarbeitern eines anderen Unternehmens ist als Teil eines freien Wettbewerbs grundsätzlich erlaubt. Dies gilt selbst dann, wenn es sich um Mitarbeiter auf demselben Absatzmarkt handelt. Dazu darf ein Interessent den zu gewinnenden Mitarbeiter auch an seinem Arbeitsplatz im Rahmen eines Telefongesprächs kontaktieren. Dieses erste Telefonat darf aber von dem Abwerbenden nur dazu genutzt werden, sich bekannt zu machen, sich nach dem Wechselinteresse des Angerufenen zu erkundigen und falls dieser nicht ablehnt, die angebotene Stelle knapp zu umschreiben. Hierzu stehen dem Anrufer allenfalls wenige Minuten zur Verfügung. Jeder längere und vor allem jeder weitere Kontakt hat dann außerhalb des betrieblichen Kontexts, in dem sich der Angerufene während seiner Arbeitszeit bewegt, zu erfolgen (BGH, Urt. v. 04.03.2004 – I ZR 221/01).

Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Anrufer nicht über die Telefonanlage des derzeitigen Arbeitgebers des Angerufenen Kontakt aufnimmt, sondern den abzuwerbenden Mitarbeiter auf dessen privatem Mobiltelefon anruft (OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 09.08.2018 – 6 U 51/18). Der Grund hierfür ist auf den ersten Blick plausibel: Selbst wenn der Anrufer keine Infrastruktur des derzeitigen Arbeitgebers des Angerufenen in Anspruch nimmt, so hält er doch den abzuwerbenden Mitarbeiter davon ab, seiner dem Arbeitgeber arbeitsvertraglich geschuldeten Leistungspflicht nachzukommen. Dadurch greift der Anrufer auch in solchen Fällen, in denen er den Angerufenen auf dessen privatem Mobiltelefon erreicht, in unlauterer Weise in den Betrieb des derzeitigen Arbeitgebers ein. Der derzeitige Arbeitgeber kann daher Maßnahmen ergreifen, den Anrufer und dessen Arbeitgeber von weiteren Eingriffen in seinen Betrieb abzuhalten. Zu diesen Maßnahmen gehört auch die Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes bei Gericht.

Unser Tipp:

Soll ein Mitarbeiter eines anderen Unternehmens wegen eines Wechsels des Arbeitsplatzes telefonisch angesprochen werden, muss auch bei einem Anruf auf das private Mobiltelefon des Angerufenen nachgefragt werden, ob sich dieser im Zeitpunkt des Anrufs am Arbeitsplatz befindet. Wird die Frage bejaht, muss ein Weg der Kontaktaufnahme außerhalb der Arbeitszeit gefunden werden. Dies ist nach Auffassung der Rechtsprechung dem Anrufer, der sich um die Gunst des Angerufenen bemüht, zumutbar.

Der Arbeitgeber des umworbenen Mitarbeiters hat keine Möglichkeit, jede Kontaktaufnahme zum Zwecke der Abwerbung zu unterbinden. Er kann aber gegen jeden, der mehr als erforderlich in seine betrieblichen Abläufe eingreift, gerichtlichen Rechtsschutz erlangen. D.h., dem Anrufer und ggf. dessen Arbeitgeber wird bei Androhung einer Ordnungsstrafe durch das zuständige Gericht untersagt, den Angerufenen weiter durch entsprechende Anrufe von der Arbeit für den derzeitigen Arbeitgeber abzuhalten. Die Kosten für diesen Rechtsschutz werden dem derzeitigen Arbeitgeber des umworbenen Mitarbeiters in begründeten Fällen vom Anrufer bzw. dessen Arbeitgeber erstattet.

Quellen:

BGH, Urt. v. 04.03.2004 – I ZR 221/01 – openJur 2012, 56074, https://openjur.de/u/180480.html (abgerufen am 02.01.2019).

OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 09.08.2018 – 6 U 51/18 – Hessenrecht, Landesrechtsprechungsdatenbank, http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/lexsoft/default/hessenrecht_lareda.html#docid:8140607 (abgerufen am 02.01.2019).